Naomi erzählt uns in ihrem Reisebericht von ihrer berührenden Begegnung mit dem Bribri Stamm, der vom Kakaoexport lebt und wo der Spirit des Kakaos lebendig ist. Während ihrer einmonatigen Reise hat sie das gefunden, wonach sich so viele hier in Europa sehnen: Allverbundenheit, Teilen, friedliches Miteinander und Verantwortung füreinander.
Gastbeitrag von Naomi Hattler
Auf der Suche nach Kakao
Ich hatte schon von den Bribri gehört - ganz am Anfang meiner einmonatigen Costa Rica Reise, als ich auf der Nicoya Halbinsel unterwegs war. Ich war auf der Suche nach Kakao, weil es mir äußerst unpassend vorgekommen wäre, in Deutschland abgepackten Kakao nach Mittelamerika zu transportieren. Die Frau auf dem lokalen Markt schwärmte von dem Bribri Tribe und ich kaufte ihr gleich ein ganzes Kilo ab. Ein grob gemahlener dunkler Criollo, der tief geht und den ganzen Körper belebt. Ich habe immer noch ein wenig davon in meinem Küchenschrank und alleine wenn ich jetzt an ihn denke, dann sehe, fühle und schmecke ich direkt die Intensität und die Verbundenheit, die in Costa Rica jeden einzelnen Tag prägte. Vor allem den Tag, an dem ich den Stamm der Bribri nahe der Stadt Puerto Viejo de Talamanca kennenlernen sollte.
Treffen mit einem Einheimischen
Es ist mein erster Tag in Puerto Viejo, ich habe gerade eine eintägige Busreise hinter mir und treffe Mynor morgens an der zentralen Bushaltestelle der kleinen Stadt. Ich bin offen für alles – nach 3 Wochen hier, schon fast am Ende meiner Reise und vollkommen im entspannt lebendigen Pura Vida Flow.
Schon zu Beginn unserer gemeinsamen Tagestour, die heute nur ich allein gebucht habe, merke ich, wie aufmerksam und verbunden Mynor mit seiner Umwelt ist. An jeder Ecke weist er mich auf Tiere hin, die in Bäumen direkt auf unserem Weg oder irgendwo in der Ferne zu sehen sind und meiner Aufmerksamkeit in den meisten Fällen entgehen. Mynor ist Teil der Bribri. Er ist in einem Dorf des Stamms aufgewachsen, hat dann 4 Jahre in Deutschland studiert und ist, wie viele andere auch, wieder zurückgekehrt. Nun teilt er seine Kultur mit Touristen und leitet unter anderem Jungle Survival Erfahrungen, hauptsächlich für amerikanische und europäische Abenteurer.
Die Bribri leben in zweierlei Hinsicht vom Kakao
“How many cups do you drink in a day?”, frage ich Mynor später und ohne zu zögern antwortet er, “I can drink like 12 or 15 cups”. Kakao ist integraler Begleiter ihres Alltags. Sie produzieren das ganze Jahr lang Kakaopaste und trinken frischen Kakao. Er prägt und trägt das gesamte Zusammenleben der Bribri. “Du lehnst niemals eine Tasse Kakao ab”, wird mir erklärt. Die Kinder und die Alten – alle trinken Kakao und es herrscht eine ausgelassene Stimmung im Dorf. Die Neugeborenen werden nach der Geburt in Kakao gewaschen und Tote werden zuallerletzt mit Kakao eingerieben. Diese “purifications” werden von einem ausgewählten Mitglied der Gemeinschaft durchgeführt und auch der Kakao für Zeremonien wird nur von einer besonderen Frau zubereitet, denn jeder hat im Stamm eine klare Aufgabe.
Andererseits leben die Bribri zu großen Teilen vom Export. Kakaobohnen, sowie die hier wachsenden Bananen werden nach Europa exportiert. Die beiden Pflanzen werden gemeinsam angebaut. Denn es ist essentiell, dass die anspruchsvollen Criollo-Kakaobäume von einer Vielzahl an weiteren Bäumen umgeben sind. Darunter sind hohe Laubbäume wichtig, um für ideale halbschattige Lichtbedingungen zu sorgen und Obstbäume und Palmen, um tierische Kakaoliebhaber, wie zum Beispiel Eichhörnchen von den proteinhaltigen Früchten abzuhalten.
Der Massenexport des Kakaos begann hier zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Es folgte ein verheerender, flächendeckender Pilzbefall des “Monilia roreri”. Deshalb kann man im Dschungel immer noch verlassene Kakaofarmen finden, die damals in der Not zurückgelassen wurden. Im monotheistischen Glauben der Bribri wird der invasive Pilz auch als göttliche Strafe für die starke Kommerzialisierung des Kakaos angesehen. Noch heute werden um die Hälfte der Früchte befallen.
Spiritualität der Bribri
Während des Tages im Bribri-Dorf bekomme ich schnell mit, wie groß das Bewusstsein für eine allgegenwärtige göttliche Präsenz ist. Mynor erzählt mir die mythische Geschichte, nach welcher der Gott (ausgesprochen: Sibó) zu Ehren seines Hauses, des Universums, eine große Zeremonie veranstalten will. In Gestalt eines alten Mannes kommt er auf die Erde hinunter und bittet hier drei Schwestern, eine nach der anderen, um Obdach. Er erklärt, dass er sie zu seiner großen Feier einladen würde. Nachdem die zwei Älteren ihn verärgert wegschicken, lässt ihn zuletzt die Jüngste in ihr Haus. Am nächsten Morgen lüftet der Gott sein Geheimnis und belohnt die jüngste Schwester für ihre Großherzigkeit, indem er sie in einen Kakaobaum verwandelt: Tsirú.
Cacao is for everyone
Kakao ist ein Geschenk. Die Verkörperung von Großzügigkeit und von Gemeinschaft: “Cacao is for everyone.” Es geht ums Teilen und um ein friedliches Miteinander, was im Dorf an jeder Ecke spürbar ist. Am Ende meiner eindrücklichen Tour bekomme ich noch die Möglichkeit, jeden Produktionsschritt von den sonnengetrockneten Bohnen zur dicken Kakaopaste selbst auszuführen. In der großen, halboffenen Hütte sitzen noch weitere Menschen. Es wird viel gelacht und Späße gemacht, inmitten dieser lebhaften Stimmung rösten und mahlen wir den Kakao und trinken schlussendlich die frisch gemahlene Kakaopaste, aufgelöst in warmem Wasser mit Maisstärke und Zimt.
Teilen & Harmonie - die höchsten Werte der Bribri
“Wie fühlt es sich an, all das zu teilen? So viel Einblick in das Leben hier zu geben?” Das frage ich Mynor bei unserem Zoom-Call, ein paar Monate später. “Sehr gut”, sagt er. Seine Vorfahren haben ihm Regeln mitgegeben, was geteilt werden kann und was nicht. Es ist ihm wichtig, die Ursprünge der Schokolade wie wir sie kennen, sichtbar zu machen. Ich frage ihn, ob er auch Wut auf die Kolonialisten empfindet. Er meint: “Am Anfang schon. Aber wir leben in anderen Zeiten.” In allem was er sagt, wird spürbar, dass das Teilen und die Harmonie die höchsten Werte der Bribri sind. Verantwortung füreinander zu übernehmen und echte menschliche Verbindung zuzulassen sind hier eine gelebte Selbstverständlichkeit, die aus dem spirituellen Bewusstsein erwächst, dass alles miteinander verbunden ist.
Kakao kreiert Verbindung
Wenn mir Costa Rica eins gezeigt hat, dann ist es eine intensive Allverbundenheit, nach der sich so viele hier in Europa zu sehnen scheinen. Ich glaube sehr daran, dass wir viel vom Kakao und den Orten, an denen er wächst, lernen können. Denn diese Verbundenheit transportiert der Kakao bis in unsere Tassen auf der anderen Seite des Atlantiks. Diese Art des Seins und des Zusammenlebens, die ich bei den Bribri erfahren habe, ist eine sehr natürliche Form des Daseins, die wir auch in unseren Leben wieder entdecken und immer mehr kultivieren können. Der zeremonielle Kakao öffnet uns dafür, in Kontakt mit dem tieferen Wesen allen Seins zu kommen. In uns, untereinander und in allem, was uns umgibt. Das ist die Magie und die simple Selbstverständlichkeit des Kakaos.
Wir entlarven jedes Gefühl des Getrennt-Seins, wenn wir uns auf das einlassen, was der Kakao hier und jetzt zu uns bringt. Er kann uns für Weisheiten über die Beschaffenheit der Welt, unsere tiefsten Wünsche und die pure, echte, authentische Verbindung, die wir uns ersehnen, öffnen. Denn er kommt aus einer Welt, in der all das selbstverständlich gelebt wird.
Kakao ist ein Geschenk. Und er ist hier, um in uns lebendig zu werden
Ich bin sehr dankbar für diesen Einblick in den indigenen Bribri Tribe und fühle mich vor allem sehr bestärkt in meiner Arbeit mit zeremoniellem Kakao. Denn mein Zugang war von Anfang an sehr intuitiv. Und nun spüre ich ganz deutlich, dass alles weitere Wissen über die Ursprünge, Traditionen und alle Aspekte der Lebenswirklichkeit rund um die mittelamerikanische Heilpflanze diese Arbeit sehr bereichern können. Wenn ich jedoch an die unglaubliche Freude, das geschäftige Treiben, die entspannte Allverbundenheit in jenem Dorf denke, dann ist es ganz klar, dass es im Letzten darum geht, die Wirkung, den Geist des Kakaos im eigenen Tun und Sein lebendig werden zu lassen.
With love,
Naomi
Über Naomi
Vertrauensvolle innere und zwischenmenschliche Verbundenheit ist für Naomi ein wichtiges Thema in der Arbeit mit Kakao. Das ist auch in ihrem englischsprachigen Podcast Cacao Spaces und in ihrer Membership-Platform spürbar, in der sie regelmäßige Selbsterfahrungs- sowie Begegnungsräume schafft. Sie arbeitet dabei mit weiteren internationalen Facilitators zusammen und öffnet mit Cacao Spaces Räume für Tiefgang und Authentizität. Des Weiteren bietet sie persönliche Transformationsbegleitung online und offline in Form von 1:1 Cacao Journeys an. Weitere Infos über Naomi und Cacao Spaces auf Instagram @na__om__i / @cacaospaces und unter cacaospaces.com ➚.